Donnerstag, 10. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (5. Fortsetzung)


Auf der anderen Seite steht die menschliche Anpassung: Wenn eben immer der Kommissar das Richtige gesagt hatte – allein deshalb, weil er der Kommissar war - dann betäubte das die Selbstüberwindung zum Mitdenken. Dies vor allem unter Bedingungen, wo Väterchen Zar so glatt von einem Generalissimus abgelöst worden war.
Diese Menschen „frei“ ihre Geschicke in eigene Hände nehmen zu lassen, ist dasselbe, wie Menschen, die Monate lang in einer finsteren Höhle gehaust haben, ins Licht hinauszuscheuchen. Sie werden anfangs geblendet, hilflos … in die nächste dunkle Ecke torkeln.
Nein, ich behaupte nicht, dass dies allein die Geschichte des „Realsozialismus“ erklärt. Sobald man das aber weglässt, entsteht ein verzerrtes Bild. Jeder einzelne Fehler im „Realsozialismus“ hätte als Einzelfall wahrscheinlich vermieden werden können – sie alle lassen sich aber als Masse von Fehlern auf die ungünstige Ausgangslage zurückführen.


Leider verließen sich viele Vertreter des realen Sozialismus auf Floskeln der „Klassiker“ der „marxistischen“ Weltanschauung, die sie einfach nachplapperten. Dabei hatten die an manchen Stellen unscheinbare, aber wesentliche Löcher im geistigen System hinterlassen. Auch Marx, Engels und Lenin waren schließlich Menschen ihrer Zeit. Eines solches „Loch“ war der Gedanke, dass es nur einen umfangreichen Übergangszeitraum vom Kapitalismus, also der letzten auf Ausbeutung aufgebauten Klassengesellschaft, zum Kommunismus als klassenloser Gesellschaft geben muss. Diesen einen Übergangszeitraum, den man großzügig einer gemeinsamen „kommunistischen Gesellschaftsformation“ zurechnete (worüber man in 50000 Jahren die Achseln zucken wird), nannten sie Sozialismus.
Marx ging dabei logisch vom im Wesentlichen weltweit „gleichzeitig“ erfolgenden Übergang der durch die Arbeiterklasse geführten Menschheit von der alten in die neue Ordnung aus. Damit hatte er keine Veranlassung, über den Charakter einer „Weltgesellschaft“ nachzudenken, die diesem „Sozialismus“ nur teilweise nähergekommen war. Über die Übergangszeit zur Übergangszeit sozusagen. Und als Lenin merkte, dass der Sprung nicht wunschgerecht landen würde, hielt er vorsichtshalber den „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ für möglich. Ansonsten hätte er den Menschheitstraum grundsätzlicher „Gerechtigkeit“ in unbestimmbare Ferne verschieben müssen. Nein, das konnte er nicht verantworten - er probierte das Mögliche … Eines aber war nicht möglich: der Sozialismus. Für ihn konnten nur einige Grundlagen geschaffen werden.
Verstehst du: Alles, was wir bisher an über den Horizont des Kapitalismus Hinausweisendes praktisch erlebt haben, war im originär marxistischen Sinne noch kein „Sozialismus“; „Kommunismus“ schon gar nicht. Wenn wir schon Begriffe brauchten, dann war dies am ehesten eine „abgebremste Revolution“. Es waren „Übergangsgesellschaften“.




(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

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