Samstag, 26. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (13. Fortsetzung)


Aber erlaube mir zuvor noch ein Kratzen an gewohntem Denken:
Das, womit wir alle Erscheinungen, mit denen wir konfrontiert werden, bewerten, nennen wir selbstbewusst den „gesunden Menschenverstand“. Das klingt so, als wäre er „dem Menschen“ gegeben. Dabei sollten wir lieber an unserem eigenen „gesunden Menschenverstand“ zweifeln.
Wenn ich nun sagte, die Erde ist eine Scheibe, über der sich die Sonne bewegt, was dann?
Dann nennst du das Unsinn? Gut. Einverstanden. Wir wissen doch alle, dass das falsch ist. Aber jeder sagt, ohne groß darüber nachzudenken, „Die Sonne geht auf“ oder „Die Sonne geht unter“. Ist das nicht auch „falsch“? Aber entspricht nicht genau das unseren alltäglichen Beobachtungen?
Stell dir vor, wir hätten all die Zusammenhänge von Physik und Astronomie in der Schule nicht so gelernt, wie wir sie gelernt haben. Was sehen wir?
Die Sonne geht morgens auf, bewegt sich in jahreszeitlich unterschiedlichen Bahnen über den Himmel und geht auf dessen anderen Seite wieder unter.
Nun stellen wir uns vor, wir hätten dies als richtige „Beschreibung“ der Natur auch so in der Schule gelernt, verbunden mit der Erklärung, es sei der unergründliche Wille eines über dem Ganzen wachenden Schöpfers. Hätten wir daran gezweifelt? Wo kluge Leute unsere Beobachtung bestätigten? Wie hätten wir reagiert, käme einer daher, der uns mit (für uns nicht nachvollziehbaren) seiner Meinung nach „wissenschaftlichen“ Argumenten zu überzeugen versuchte, die Erde drehe sich als Kugel mit uns obendrauf um jene Sonne da? Hätten wir ihn nicht mit gutem Recht als Spinner verlacht? Hätten wir nicht sogar gutgeheißen, den Ketzer zu verbrennen, da er uns doch mit seiner Darstellung unseres Schöpfers und damit unseres paradiesischen ewigen Lebens zu berauben versuchte? Können wir heute so ehrlich sein, dass wir das, in eine andere Zeit hineingeboren und mit anderem Grundwissen gefüttert, wahrscheinlich so gesehen hätten? Mit wirklich „gesundem Menschenverstand“?!
Dieser Ketzer, der eine für heutige Verhältnisse „Allerweltsweisheit“ verbreiten wollte, hätte bei uns verdammt schlechte Karten, wären wir Durchschnittsmenschen in der Denkwelt vor 500 Jahren oder früher … Nur weil wir ein neues Weltbild in der Schule gelernt und Bilder aus der Erdumlaufbahn gesehen haben, glauben wir Anderes zu wissen … In unsere uns „natürlich“ erscheinende Denkwelt sind also Lehren Anderer eingeflossen. Rein logisch funktioniert das unabhängig davon, ob diese Lehren wahr sind, solange sie unserer Alltagspraxis nicht widersprechen.

(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Donnerstag, 24. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (12. Fortsetzung)


Normalerweise geht unser Verständnis von dem aus, was es kennt beziehungsweisewas es gelernt hat – was es also zu kennen meint. Auch, wenn etwas anders ist als das Bekannte, greifen wir zu seiner Erklärung auf Bekanntes zurück – und finden auch etwas. Nun stehen wir aber beim „Kommunismus“ vor etwas völlig Unbekanntem und Neuem. Wir müssten also alle vertrauten Pfade verlassen. Aber Gnade, uns begegnen „Zeichenkombinationen“, die wir mit unserem erlernten Zeichensatz „lesen“ können. Dann tun wir das auf Teufel komm raus und versuchen, die nicht identifizierbaren Zeichen auf schlecht geschriebene bekannte zurückzuführen. Schneller als eigentlich möglich haben wir uns unsere Meinung gebildet, bilden wir uns ein zu wissen. Du, das ist nicht als Vorwurf gemeint. Das geht mir doch auch so. Ich bin aber gewarnt, weil ich das weiß.

Um ein paar Eigenschaften des Kommunismus vorausahnen zu können, hätten wir als einzigen Anhaltspunkt die Zeit vor den Klassengesellschaften. Nur … wir wollen doch nicht auf die Bäume zurück! Wir können höchstens überlegen, welche Denkweisen sich durch die zurückliegenden Jahrtausende Herrschaft zwischen den Menschen verändert haben könnten, welche sich also demnach wieder „zurückbilden“ müssten, wenn die Bedingungen, die sie gefördert haben, weggefallen sein werden. Der Hauptteil aller dieser heute als „natürlich“ und „selbstverständlich“ erscheinenden Denkweisen hat ja materielle Ursachen. Die aber ersetzen wir durch andere, wenn wir den Kommunismus aufbauen,.

Manche Formen sozialer und praktischer Vernetzung von Menschen können wir uns heute noch nicht vorstellen, weil die Beziehungen, die ihnen zugrunde liegen müssen, noch nirgends vorgelegen haben.
Und Analogien zum „Urkommunismus“ produzieren eine unbestimmbare Zahl von Fehlern. Die soziale Hauptfessel der „Ur-Menschen“ fällt ja für den „richtigen“ Kommunismus glücklicherweise weg: der materielle Mangel.
Also … Unser natürliches Denken bietet uns voreilige Schlüsse an, weil wir aus Bekanntem auf für uns absolut Ungewohntes zu schließen versuchen. Wir können uns nur mit „Krücken“ behelfen: Als solche brauchen wir Fantasie und die Logik aus dialektisch-materialistischem Schlussfolgern. Und nun erkläre man einem „Materialisten“, er brauche Fantasie, und dir, du musst materialistisch denken! Dabei heißt „materialistisch denken“ nur, zu berücksichtigen, dass es für jede Denk- und Verhaltensweise materielle Gründe gibt, die sie tendenziell hervorbringen, andere materielle Verhältnisse langfristig mit einer gewissen Sicherheit also andere Denk- und Verhaltensweisen zu den vorherrschenden machen 

(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Dienstag, 22. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (11. Fortsetzung)


Die Perspektive Kommunismus muss von den Massen gewollt werden – egal, ob man sie nun so nennt oder nicht. Es reicht einfach nicht, jene einzelnen Stückchen des „Kapitalismus“ nicht zu wollen, die gerade am meisten weh tun. Es reicht nicht einmal, den Kapitalismus insgesamt nicht zu wollen. Wir müssen auch etwas Anderes, Alternatives bewusst wollen und darauf hinarbeiten. Im Chaos des wirren Handelns der Vereinzelten reproduziert sich der Kapitalismus sonst nämlich immer selbst – und zwar als sozialdarwinistische Auslese der „Stärksten“. Also mit zumindest faschistoider Tendenz. Der „Sozialstaats-Kapitalismus“, den manche wieder haben wollen, war ausschließlich als Wirkung des „Realsozialismus“ untergegangener Prägung möglich. Im „realen Kapitalismus“ können nur Starke ein vorübergehendes „Gleichgewicht“ bilden. Das heißt, es müssen allein schon ausreichend Gegenkräfte organisiert wirken, um den Kapitalismus in seinem Inneren weniger „kapitalistisch“ zu machen.
Es muss dazu wenigstens unterschwellig die Systemfrage im Raum stehen. Solange es um das Erzielen von Maximalprofit geht, wäre selbst ein Erfolg gegen die „Atomlobby“ eben nur der Umstieg in die nächste Gefahr für die Menschheit, mit der sich die dicke Knete machen lässt. So viel besser waren die Machtorgane des Realsozialismus nicht als die der kapitalistischen Staaten – trotzdem gab es in allen „Ostblock“-Ländern keinen relevanten Rauschgifthandel und keine damit zusammenhängende Kriminalität, keinen Menschenhandel, kein Rotlichtgewerbe, Ludentum usw.
Derartige extreme Profitmachereien gibt es trotz ihrer juristischen und ethischen Verfolgung in kapitalistischen Grauzonen weiter, während ihnen auf anderem gesellschaftlichen Boden einfach die Nahrung fehlt. Wenn wir aber den realen Kapitalismus mit geballter Gegenkraft zu jedem Zugeständnis, weniger Kapitalismus zu sein, zwingen müssen und können, warum beseitigen wir ihn nicht ganz und machen etwas Eigenes daraus? Das muss ja nicht den Namen Sozialismus oder Kommunismus tragen, es muss nur so funktionieren, wie Sozialismus und Kommunismus funktionieren sollten.

(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Sonntag, 20. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (10. Fortsetzung)


Für gesellschaftliche Vorgänge, meinetwegen auch nur die psychologische Erklärung für das Handeln eines Menschen, müssen wir vereinfachen. Wir vernachlässigen immer Besonderheiten, die bei einem bestimmten Vorgang nebensächlich sind oder scheinen. Bauen wir ein geistiges System aus solchen Vereinfachungen, läuft es auf ein „Wenn …, dann …“ hinaus. Das ist dann Determinismus. So mag zwar die „Arbeiterklasse“ in ihrem „Wesen“ die Klasse sein, die berufen gewesen wäre, längst den Weltsozialismus errichtet zu haben, aber dann müssen wir eben betrachten, ob wir nicht zu viele Bedingungen vernachlässigt haben, und fragen, welche das sind.

Nein, ich habe nicht vergessen, dass ich eigentlich hatte begründen wollen, warum ich das Scheitern der Novemberrevolution in Deutschland für die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts halte. Um es kurz zu sagen: Eben jenes Scheitern schuf damals bereits die Bedingungen, die danach allen „Realsozialismus“ am Entfalten hinderten – in gewisser Weise bis zu dessen Untergang. Aus dem Geburtsschaden des „Realsozialismus“ erwuchsen eben die meisten folgenden „Verirrungen“ in der Wirklichkeit. Dass dieser „Realsozialismus“ gewesen ist, wie er eben war, macht es nun auch so schwer, einem normalen Menschen zu erklären, wo wir tatsächlich hin gewollt hatten – und warum „wir“ immer noch dorthin wollen (müssen). Wir sind der angestrebten Gesellschaft in den „realsozialistischen“ Staaten wie der DDR ja zumindest näher gekommen, aber um einen Preis, der ins „rechte“ Licht gerückt das ganze notwendige Projekt diskreditierte. Dabei wäre die Erfahrung, die wir mit dem „realen Sozialismus“ gemacht haben, vergleichbar mit einem Kachelofen, aus dem bei erster unsachgemäßer Bedienung Kohlenmonoxid ausgeströmt ist. Darf man daraus ableiten, für ewig Kachelöfen zu verdammen, weil man sich durch sie vergiften kann? Das ja wohl nicht. Dass heute andere Gründe für andere Heizungen sprechen, bekräftigt nur die Erwartung, dass das, was wir ab heute als Sozialismus und Kommunismus gestalten würden, etwas Besseres wird als das, was die Sowjetunion und die DDR damals hätten gestalten können.



(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Freitag, 18. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (9. Fortsetzung)


Normalerweise werden alle Vorgänge so beschrieben, als vollzögen sie sich in einem geschlossenen System. Von allem, was „draußen“ passiert, wird abstrahiert. Es verkompliziert und lenkt ab. Das Lagerfeuer ist dagegen ein offenes System: Die Reaktionsprodukte und die Masse aller Energie entschwinden in den freien Raum.
Komplizierter würde die chemische Reaktion, wenn man sie in einen (Kachel-)Ofen verlegte. Hier wird das relativ offene System nur begrenzt künstlich hergestellt. Nun soll es Leute gegeben haben, denen war das System zu lange offen. Die drehten den Ofen zu. Es entstand ein relativ geschlossenes System. Relativ insoweit, als dass ein Teil der Energie weiterhin nach draußen abgegeben wurde. Das war im Sinn der Sache: Nicht der Ofen, sondern das jeweilige Zimmer sollte ja wärmer werden. Aber im Verbrennungsraum verschob sich das Stoffverhältnis: Es verblieb mehr Kohlendioxid im System. Da es ausreichend heiß war, konnte ein Teil der Energie dadurch chemisch gebunden werden, dass sich das CO2 mit dem Kohlenstoff verband zu Kohlenmonoxid. Ein Teil dessen verließ jenes relativ geschlossene System, drang in das wiederum relativ geschlossene System „Wohnzimmer“ … und schläferte die dort Ruhenden dauerhaft ein.
Es reagiert eben Kohlenstoff nicht bedingungslos (nur) mit Sauerstoff …

Bei JEDER Reaktion, die man bewusst herbeiführen will, muss man eben die wesentlichen Bedingungen schaffen, die zum Ablauf erforderlich sind. Logischerweise muss man sie dazu kennen.
Nun gibt es den Begriff „objektiv“, den ich auch gern gebrauche. Der sagt in diesem Sinne „nur“ aus, dass eine „Reaktion“ immer stattfindet, wenn alle Bedingungen dafür gegeben sind – unabhängig davon, ob „man“ das wollte. Naturgesetzmäßig.
Um auf das Kohlenmonoxid aus dem Ofen zurückzukommen: Selbstverständlich kann man die Reaktion auch vorsätzlich zum Suizid oder Mord benutzen. Es ist aber nicht die Frage, mit welcher Absicht zu einem bestimmten Augenblick der Ofen zugedreht worden war, sondern dass das dann geschah, als die Bedingungen für die CO-Redox-Reaktion besonders günstig waren. Also das gleiche Zudrehen des Ofens kann sich mal so und mal so auswirken.
Zum Nachdenken über die Verwendbarkeit eines solchen Bildes für gesellschaftliche Handlungsweisen sollte noch hervorgehoben werden: Im Umgang mit dem Ofen wurde immer mit mindestens einem Vorsatz gehandelt … und wenn es Sparsamkeit war, weil der Kachelofen weniger lange Wärme abgäbe, wenn alle Kohle darin schnell niedergebrannt wäre.


(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Mittwoch, 16. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (8. Fortsetzung)


Die müssen nun zwischen den kühleren Teilchen hindurch zur Oberfläche, sprich: zu ihrer individuellen Revolution. Dabei erwärmen sie die anderen mit, werden aber selbst wieder abgekühlt. Dadurch gibt es unter Umständen also „Konterrevolutiönchen“. Erst mit steigender Gesamtwärme dampfen dann immer mehr wirklich in die Freiheit ab. Es verdampfen im offenen Topf trotzdem schon Wassertropfen, obwohl das Wasser in seiner Gesamtheit noch nicht kocht.
Der Ablauf dieses Revolutionsspiels lässt sich manipulieren. Durch einen Deckel und durch Gewicht auf dem Deckel. Auf diese Weise entsteht ein geschlossenes System. Denn die zugeführte Energie verbleibt im offenen System nicht vollständig in den zu revolutionierenden Wasserteilchen, sondern wird von der kühlen Umgebung abgezogen. Je bewegter diese Umgebung ist, umso mehr. Ohne beständige Neuzufuhr von Energie hat das „Restwasser“ unter Umständen noch einen Moment 99, dann 98, 97 usw. Grad und aus ist´s mit Revolution. Steht dagegen der Inhalt des Topfes unter Druck, kann ein Teil der Teilchen deutlich mehr als die „normale“ Siedetemperatur haben … und bleibt trotzdem flüssig. Dieser Teil holt dann seine Revolution mit dem Entfernen des Deckels in kürzester Zeit geballt nach. Wie lange die beiden Abläufe zu beobachten sind, ist dabei nicht die Frage. Revolution ist der ganze Vorgang, durch den aus einem Topf mit Wasser ein Topf mit „Luft“ geworden ist. So richtig nimmt man das Ganze aber nur dann als „Revolution“ wahr, wenn man den Deckel abnimmt ...

Unser menschliches Denken abstrahiert meist davon, dass auch in der Natur alle Prozesse an konkrete Bedingungen gebunden sind. Viele dieser Bedingungen erkennen wir gar nicht als solche, weil sie uns als selbstverständlich gegeben erscheinen. Das sind sie ja meist auch.
Wer denkt schon darüber nach, wenn er ein Lagerfeuer entzündet, dass die dabei sich vollziehende Hauptreaktion an mehrere „Bedingungen“ geknüpft ist. Kohlenstoff reagiert mit Sauerstoff zu Kohlendioxid, wobei die erwünschte Energie frei wird. Bedingungen?! Na, Sauerstoff und Kohlenstoff müssen da sein … und was da brennen soll, sollte trocken sein. Da hört die Durchschnittsbetrachtung aber schon auf.
Kommst du auf die Idee, dass für diesen Vorgang mindestens noch ein „offenes System“ und demzufolge eine gewisse „Kälte“ (und das Fehlen anderer Stoffe mit ähnlichen Wirkungen wie das Wasser)- notwendig ist? Besonders die Kälte wird als „Vorsatz“ unterstellt – wir betreiben ja diese Verbrennung meist, um uns zu wärmen. An das „offene System“ aber denkt kaum jemand.


(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Montag, 14. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (7. Fortsetzung)


Darf ich eine naturwissenschaftliche Vereinfachung einschieben, um die philosophischen Beziehungen von Qualität und Quantität, Revolution und Evolution zu veranschaulichen? Ich tu es einfach:
Der Übergang von flüssigem Wasser zu Wasserdampf ist zum Beispiel eine Revolution. Als uns das in Studentenzeiten nahegebracht werden sollte, begann der Vortrag mit einer Unterstellung: Wasser von „Zimmertemperatur“ wird zum Kochen gebracht. So dargestellt ist der Vorgang bereits ein bewusst beabsichtigter. Diese Gerichtetheit war erforderlich, um folgende Frage aufzuwerfen: Welche aufgewandte Energie ist wichtiger: die, die gebraucht wird, um das Wasser von 20 auf 30, von 30 auf 40 … von 80 auf 90 Grad zu erhitzen oder die, die den Übergang der Wasserteilchen von ihrer flüssigen in die gasförmige Form ermöglichen? Nur dieser letzte Vorgang erscheint als „Revolution“ - das andere ist Evolution. Damit es aber zu einer solchen Revolution kommen kann, sind die entsprechenden Evolutionen, also die allmählichen Aufladungen der Wasserteilchen mit kinetischer Energie, unumgänglich. Es gibt kein Teilchen, das direkt von 20 Grad auf Dampf umschlägt.

Merkt ihr was?
Das Modell enthält Haken, die auf unsere gesellschaftlichen Revolutionen übertragbar sind.
Von einer gegebenen Menge Wasser gehen „in der Natur“ nämlich nie alle Teilchen gleichzeitig vom flüssigen in den gasförmigen Zustand über. Man kann also „viele Revolutiönchen“, also Vorgänge bei jedem einzelnen Teilchen, unterscheiden von „der Revolution“ als Prozess. Letzterer ist der für uns interessante. Er beginnt mit den ersten gehäuften „Revolutiönchen“ und endet, wenn alles Wasser verdunstet ist.
Hübsch zu beobachten sind Probleme solcher Revolutionen beim Kochen im Topf. Dort kommt nämlich erschwerend dazu, dass die ersten Wasserteilchen, die die Siedetemperatur erreicht haben, unten, also bei der Herdplatte als Energiequelle auftreten.


(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Samstag, 12. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (6. Fortsetzung)


Wir dürfen uns dabei „Revolution“ nicht im engsten politischen Sinn als eine „Machtergreifung“ vorstellen. Im philosophischen Sinne beschreibt der Ausdruck „Revolution“ nur den relativ schnellen Übergang von einer „Qualität“ zu einer tatsächlich grundsätzlich neuen.
„Schnell“ nicht aus der Perspektive eines Menschenlebens. Bei der Frage der „kommunistischen Gesellschaftsformation“ geht es darum, eine menschliche Kultur zu erschaffen, die über 10000 Jahre „Klassengesellschaft“ mit ALLEN ihren Elementen ins Grab der Geschichte versenkt. Was die Menschheit in ihrer gesamten Entwicklung aus dem Tierreich hervorgebracht hat, wird neu organisiert. Die Menschheit gestaltet ihre Welt als Ganzes erstmals bewusst und vorsätzlich geplant. Erstmals kann sie das. Schon allein deshalb ist „die Revolution“ nicht mit dem Schuss eines Panzerkreuzers vollbracht. Damit beginnt erst der lang andauernde Prozess, bei dem Jahrzehnte eben „kurze“ Zeiträume sind. In diesem Sinn kann sogar der gesamte „Sozialismus“ noch als „evolutionäre Revolution“ verstanden werden. Also es muss sich das grundsätzlich Neue erst entwickeln. In ihm sind BESTIMMTE GRUNDLAGEN notwendigerweise real vorhanden, während andere sich darauf aufbauend allmählich ausprägen. Das schließt nicht aus, dass entgegen Marx, Engels und Lenin selbst der Übergang vom Sozialismus zum entwickelten Kommunismus von der Form her „revolutionär“ vollzogen werden wird. Das wäre unter anderem abhängig von der Stärke der institutionalisierten Bürokratie. Vom philosophischen Wesen her ist auch er auf jeden Fall eine Revolution. Wie die Übergänge von der Sklavenhalterordnung zum Feudalismus und von dem zum Kapitalismus, die ja alles Ausbeuterordnungen blieben.
… Entschuldige, ich vergaß, dass du auch mit diesen Begriffen nichts anfangen kannst. Also Ausbeutung bedeutet, dass dem Arbeitenden nur der Teil seiner Arbeitsergebnisse überlassen bleibt, den er samt den Seinen zum Überleben braucht, während sich das darüber hinausgehende Mehrprodukt der Besitzer der Produktionsmittel aneignet. Untergeordnet ist dabei, wie er dies tut und was alles als zum Leben der Nichtbesitzer notwendig anerkannt wird. Der „Ausgebeutete“ muss nicht notwendig arm sein. Er muss nur Mehrprodukt erzeugen. Als Sklave gehörte er nicht einmal sich selbst und wurde verschlissen wie eine Maschine. Im Feudalismus, du sagst Mittelalter dazu, lebte eine Klasse von den Abgaben und der anteilig unbezahlten Pflichtarbeit der Arbeitenden. Im Kapitalismus kann und muss der Arbeitende zeitlich beschränkt seine Arbeitskraft verkaufen. Durch den hohen Anteil der schon in Maschinen vergegenständlichten Arbeit am Gesamtwert braucht er nur noch eine minimale Arbeitszeit, um damit den Seinen eine gute Reproduktion zu sichern. Der größere „Rest, das Mehrprodukt, bleibt privat.

(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Donnerstag, 10. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (5. Fortsetzung)


Auf der anderen Seite steht die menschliche Anpassung: Wenn eben immer der Kommissar das Richtige gesagt hatte – allein deshalb, weil er der Kommissar war - dann betäubte das die Selbstüberwindung zum Mitdenken. Dies vor allem unter Bedingungen, wo Väterchen Zar so glatt von einem Generalissimus abgelöst worden war.
Diese Menschen „frei“ ihre Geschicke in eigene Hände nehmen zu lassen, ist dasselbe, wie Menschen, die Monate lang in einer finsteren Höhle gehaust haben, ins Licht hinauszuscheuchen. Sie werden anfangs geblendet, hilflos … in die nächste dunkle Ecke torkeln.
Nein, ich behaupte nicht, dass dies allein die Geschichte des „Realsozialismus“ erklärt. Sobald man das aber weglässt, entsteht ein verzerrtes Bild. Jeder einzelne Fehler im „Realsozialismus“ hätte als Einzelfall wahrscheinlich vermieden werden können – sie alle lassen sich aber als Masse von Fehlern auf die ungünstige Ausgangslage zurückführen.


Leider verließen sich viele Vertreter des realen Sozialismus auf Floskeln der „Klassiker“ der „marxistischen“ Weltanschauung, die sie einfach nachplapperten. Dabei hatten die an manchen Stellen unscheinbare, aber wesentliche Löcher im geistigen System hinterlassen. Auch Marx, Engels und Lenin waren schließlich Menschen ihrer Zeit. Eines solches „Loch“ war der Gedanke, dass es nur einen umfangreichen Übergangszeitraum vom Kapitalismus, also der letzten auf Ausbeutung aufgebauten Klassengesellschaft, zum Kommunismus als klassenloser Gesellschaft geben muss. Diesen einen Übergangszeitraum, den man großzügig einer gemeinsamen „kommunistischen Gesellschaftsformation“ zurechnete (worüber man in 50000 Jahren die Achseln zucken wird), nannten sie Sozialismus.
Marx ging dabei logisch vom im Wesentlichen weltweit „gleichzeitig“ erfolgenden Übergang der durch die Arbeiterklasse geführten Menschheit von der alten in die neue Ordnung aus. Damit hatte er keine Veranlassung, über den Charakter einer „Weltgesellschaft“ nachzudenken, die diesem „Sozialismus“ nur teilweise nähergekommen war. Über die Übergangszeit zur Übergangszeit sozusagen. Und als Lenin merkte, dass der Sprung nicht wunschgerecht landen würde, hielt er vorsichtshalber den „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ für möglich. Ansonsten hätte er den Menschheitstraum grundsätzlicher „Gerechtigkeit“ in unbestimmbare Ferne verschieben müssen. Nein, das konnte er nicht verantworten - er probierte das Mögliche … Eines aber war nicht möglich: der Sozialismus. Für ihn konnten nur einige Grundlagen geschaffen werden.
Verstehst du: Alles, was wir bisher an über den Horizont des Kapitalismus Hinausweisendes praktisch erlebt haben, war im originär marxistischen Sinne noch kein „Sozialismus“; „Kommunismus“ schon gar nicht. Wenn wir schon Begriffe brauchten, dann war dies am ehesten eine „abgebremste Revolution“. Es waren „Übergangsgesellschaften“.




(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Dienstag, 8. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (4. Fortsetzung)


Entscheidend ist die Wirklichkeit: In der realen Geschichte hatte 1922 nur ein Anlauf zum Sozialismus überlebt - auf einem Stück Welt, wo die „Produktivkräfte“ nur minimale Ansätze für eine überlebensfähige sozialistische Gesellschaft boten und das auch dank der Weite des Landes. Eine Welt von Hinterweltbauern, die teilweise auf einem Entwicklungsniveau verharrten, das in Deutschland bereits zur Reformationszeit überwunden worden war. Dem standen ein paar dünn gesäte Leuchttürme des Fortschritts gegenüber. Weltweit isoliert, gezwungen, aus eigener Kraft in einen Rundum-Fortschritt zu rasen. Krieg und Nachkrieg … und kurzfristig musste ein autarkes System aufgebaut werden. Alles selber machen von der Gewinnung der Rohstoffe an über die Produktion in den Grundindustrien bis hin zur Endfertigung / der Bedürfnisbefriedigung … mit einem Minimum an Fachkräften - auf der anderen Seite erwartete man von dem einzigen „Sieger“ in den Reihen der sozialistischen Bewegung Führung in jeder Ebene.
Nun stelle man sich vor, an der Seite des Rohstofflands Russland hätte wenigstens die – wenn auch vom Krieg zurückgeworfene – Industriemacht Deutschland gestanden. Für den Mathematiker wäre das ein Entwicklungsvergleich wie wenn man 4 x 4 x 4 x 4 an die Stelle von 2 x 2 x 2 x 2 setzt. Anfangs „nur“ jeweils doppelt gute Ausgangsposition, aber bald stünde es 256 : 16! Allein was die gegenseitige wirtschaftliche Befruchtung beträfe ...
Dazu wäre noch etwas Anderes gekommen: Eine objektiv bessere Ausgangslage für innere Demokratie. Wie war denn die Wirklichkeit? Ein alleiniger Riese konnte gleichberechtigte Mitsprache höchstens simulieren. Es war doch irgendwie selbstverständlich, dass eine Macht, die fast 30 Jahre sich hatte irgendwie einrichten müssen allein klarzukommen, nach dem nächsten Krieg Schwierigkeiten mit der „Gleichberechtigung“ von Partnern haben musste, die ohne sie allesamt nicht lebensfähig gewesen wären (von der Führungsrolle der einzigen Siegerpartei ganz abgesehen).
Wie anders hätte das objektiv sein können, wenn von Anfang an ein Netz von Abhängigkeiten zum gemeinsamen Vorteil bestanden hätte.
Ich darf sogar auf anderer Ebene spekulieren: Ohne den deutschen Faschismus wäre die Atombombe zumindest nicht so früh einsatzreif gewesen. Ohne die amerikanische (hier wage ich den Ausdruck „amerikanisch-deutsche“) Atombombe wären die Anstrengungen der Sowjetunion zum Gleichziehen (noch) nicht nötig gewesen – unmittelbar nach der Weltkriegsverwüstung des eigenen Potentials, also zu einer Zeit, wo dieses Land wahrlich Wichtigeres hätte tun wollen und müssen.
Aber es war ja nicht der Weltkrieg allein und die Angst danach, gleich wieder in den nächsten mit einem übermächtigen Gegner zu geraten. Es war eben die Hektik, mit der superschnell eine sowjetische Tonnenschwerindustrie aus dem eigenen Lebensstandard herausgeschnitten worden war – wenn man die folgenden Panzerbaukapazitäten berücksichtigt, zu Recht. Das hatte sowohl wirtschaftliche Folgen als auch „ideologische“: Wann hört eine einmal bewährte Tonnenideologie (Was das ist, kannst du in Wikipedia nachlesen!) auf, sinnvoll zu sein? Wann ist der Punkt gekommen, wo an die Stelle des Kommandierens, der Kommissare, die das letzte Wort haben, Wirtschafts- und Gesellschaftsdemokratie treten kann … und muss? Wenn es doch so oft nur mit Gewalt gegangen war, hatte gehen müssen? Mensch ist Mensch – auch wenn er „Kommunismus“ leicht über die Lippen bringt. Und eine „bewährte Methode“ gibt man nicht so leicht auf.

(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Sonntag, 6. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (3. Fortsetzung)


Noch bestand aber Grund zur Hoffnung: Die Bolschewiki standen an ihrem Platz, erfüllten ihre Pflicht, andere Parteien standen an anderen, um dort die ihre zu erfüllen. Eine besondere Rolle kam dabei Deutschland zu. Hier waren die weltgrößten Potenzen der inneren Wirtschaftskraft konzentriert. Die Weltmacht Nummer eins, England, war durch die Ausbeutung ihrer Kolonialwelt eher ein „Rentnerstaat“, in dem den Bewohnern mehr Almosen zur Beruhigung zugeworfen werden konnten.
Sowohl der relative Sieg der russischen Oktoberrevolution als auch die Niederlage aller den bürgerlichen Horizont übersteigenden Kräfte in der deutschen Novemberrevolution hatten konkrete Gründe, beide Ergebnisse waren für sich genommen aber nicht so zwingend notwendig, wie beispielsweise der „Ausbruch“ des Weltkriegs. Bei dem war nur der Anlass, also das Datum des Beginns Zufall. Dass – um nur ein Beispiel zu nennen – die Kommunistische Partei Deutschlands nicht schon am 30.12.1917 gegründet wurde, war kein Sachverhalt, den Lenin im April 1917 hätte berücksichtigen können.
Also spielen wir einmal das unwissenschaftliche Was-wäre-gewesen-wenn-Spiel und stellen Überlegungen an, was sich wahrscheinlich beim Sieg einer sozialistischen deutschen Novemberevolution für die Welt alles verändert hätte.

Also, ich glaube ganz sicher, dass der Interventions- und Bürgerkrieg gegen das junge Sowjetrussland anders verlaufen, er zum Beispiel mit weniger weißem Terror und damit weniger rotem Gegenterror zu Ende gegangen wäre.
Sicher hätte auch der „Versailler Vertrag“ und seine Umsetzung anders ausgesehen.
Sicher ist drittens, dass eine richtige Volksmacht zum Aufbau des Sozialismus die Entwicklung des Faschismus in Deutschland verhindert hätte.
Für fast sicher halte ich auch, dass es den Weltkrieg Nummer 2 nicht in der uns bekannten Art gegeben hätte (mit der deutschen Kriegsschuld).
Dazu kämen die wahrscheinlich positiveren Entwicklungen in anderen europäischen Ländern. Ich denke da unter anderem an das Schicksal der ungarischen Räterepublik oder die italienische Entwicklung zum ersten „Faschismus an der Macht“. Da ließe sich viel spekulieren.

(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")

Mittwoch, 2. Mai 2012

Was ich von Geschichte (nicht) verstehe (2. Fortsetzung)


Die Antwort fällt leichter, wenn man berücksichtigt, dass Marx aus der prinzipiellen Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft – die er für die Vergangenheit aufzeigen konnte – die Notwendigkeit und Möglichkeit der weiteren Entwicklung, einschließlich der diese Entwicklung tragenden Kraft ableitete. Die „Arbeiterklasse“, so meinte er, sei die erste Klasse, die dank ihrer Rolle in der Produktion – nämlich doppelt „frei“ zu sein (von vorgeschriebenen Abhängigkeiten und von Eigentum) – die Klassenherrschaftsverhältnisse als Ganzes beseitigen könne. Diese Arbeiterklasse entwickelte sich in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts stürmisch … Mit dem Ersten Weltkrieg reiften zumindest europaweit „revolutionäre Situationen“: Mehr oder weniger sah es danach aus, dass die Herrschenden nicht mehr auf die bisherige Weise würden herrschen und die Beherrschten nicht mehr so weiter leben können wie bisher. Eine solche Situation ist sozusagen Verpflichtung für die fortschrittlichen Kräfte aller Länder das für sie Mögliche zu tun, um eben den notwendigen Fortschritt im Zusammenleben zu entbinden.

Unter diesen Bedingungen schrieb Lenin sein gern verkanntes Buch „Staat und Revolution“, in dem er das Ziel einer sich sozialistisch auflösenden Klassengesellschaft so „wissenschaftlich“ beschrieb, wie es zu jener Zeit möglich war. Ein Buch, was du auch verstehen kannst – und wenn dir zu viele Namen begegnen, dann denk die einfach weg. Gern wird in Lenins Ausführungen hineingedeutet, die er nur wenige Monate später machte (hauptsächlich in die „Aprilthesen“), dass er grundsätzliche Positionen wieder korrigierte. Das sehe ich aber anders.
Zum dialektischen Denken gehört nämlich auch, sich über die Ebene klarzuwerden, auf der man sich gerade bewegt. Und „Staat und Revolution“ beschrieb eine Welt (!!!) des „Sozialismus“, auf die hinzusteuern 1916 theoretisch notwendig war und praktisch möglich schien – während 1917 die Kräfte miteinander rangen, die einen solchen Weg gerade einleiteten. Nun stellte sich die Frage auf einer Ebene, auf der man zwar Sozialismus haben wollte, aber mindestens in wesentlichen Teilen der Welt noch nicht hatte und wahrscheinlich nicht haben würde.
Jeder traditionsbewusste Bayer weiß, dass zum Fensterln eine Leiter gehört, die er hochsteigen muss, um zu seiner Liebsten zu kommen. Nur ist der Sinn der Sache natürlich nicht die Nutzung der Sprossen, sondern die Liebesbegegnung, zu der man über sie kommt. Trotzdem sollte man sich mit der Frage beschäftigen, was man macht, wenn jemand die Sprossen angesägt hat …
„Staat und Revolution“ beschrieb sozusagen das erfolgreiche Fensterln - was Lenin danach untersuchte (z. B. in den „Aprilthesen“) war eher der Umgang mit der angesägten Leiter.

(Mit freundlicher Genehmigung von Slov ant Gali. Wiedergabe eines in Blogartikeln zerlegten Entwurfs für ein Sachbuch. Der Original Blogartikel ist h i e r; der Entwurf des Buches "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen" unter "Provisorische Gliederung des Buches")